Törchen 8 - ANTIGONE 2006
Mythos Antigone
Die Theaterwerkstatt produziert eine exklusive Erstaufführung der Antigonetragödie in der Fassung von Jean Anouilh in Verbindung mit der Antigone-Schauspielmusik von Felix Mendelssohn-Bartholdy. «Die gemeinsame Aufführung beider Vorlagen in einer szenischen Vernetzung ist noch nie öffentlich vorgestellt worden», hält Lehrer Alfred Bosshardt, der Leiter des Projekts, fest.
Antigone, die Tochter von Ödipus, will ihren toten Bruder Polyneikes gegen den Willen ihres Onkels Kreon, der nur für ihren Bruder Eteokles, den Verteidiger der Stadt Theben, ein Begräbnis angeordnet hat, bestatten, obwohl ihr Handeln mit dem Tod bestraft wird. Sie nimmt, die geheiligten Bestattungsbräuche achtend, das Todesurteil auf sich und zieht dadurch Kreons Sohn Haimon, ihren Geliebten, und seine Mutter Eurydike unausweichlich mit sich in den Tod. Die berühmte Zeile aus Sophokles Antigone «mitlieben, nicht mithassen ist mein Teil» kann Jean Anouilhs gleichnamiges Drama mehr als 2000 Jahre später, nämlich 1944 entstanden, nicht mehr wiederholen, da es dem Existenzialismus verpflichtet ist. Sein Text ist geprägt von Pessimismus und Gleichgültigkeit. Nicht Liebe, Verpflichtung und Humanität führen zum tragischen Tod der Titelheldin, sondern ihr absoluter Anspruch, ihre Kompromisslosigkeit und die Sinnlosigkeit des Lebens ganz allgemein. Nur die Wächter haben es gut überstanden. Ihnen ist alles gleich, denn es geht sie nichts an. Sie spielen lieber Karten. Wer über das Leben nachdenkt, wird nur mit der alltäglichen Routine und dem Tod konfrontiert. Nachdem Polyneikes toter Körper nicht mehr identifiziert werden kann, wird auch Antigones Selbstbestimmung zur Fremdbestimmung. Für Kreon, ihren Onkel, ist «das ganze Leben nur ein bisschen Glück».
An Antigones unerfüllbarer Liebe zu Haimon, an ihrer Verantwortung für den lieblosen Bruder und an ihrem Pflichtbewusstsein ihrem eigenen Hund gegenüber scheint aber all das auf, was seit Sophokles den Menschen an diesem Stoff so fasziniert, ihn betroffen macht. Aber für Antigone existiert vor allem das Fatum und der Ekel vor der Gewöhnlichkeit des alltäglichen Glücks im Leben, «das oft nur ein Buch ist, das man gerne liest, ein Kind, das zu deinen Füssen spielt, ein Gegenstand, der sicher in der Hand ruht», darüber hinaus gibt es nichts, auch keine Menschlichkeit. Wenn man das Kriegsgeschehen von 1944 einbezieht, kann ihr aber hoch angerechnet werden, dass sie sich nicht anpasst, keine Opportunistin ist, sondern nur ihrem eigenen absoluten Anspruch folgt.
Tragisches Ende
So bestimmen zwar Gesetze das Leben und Antigone kann auch als Gesetzesbrecherin betrachtet werden, aber diese Gesetze lösen nichts als Sinnlosigkeit und Gleichgültigkeit aus, sie garantieren weder Menschlichkeit noch Glück. Antigones Verhalten ist nicht vorbildlich, sie handelt nicht aus dem Glauben an die Götter, sie muss sich nicht zwischen göttlichem und weltlichem Gesetz entscheiden. Sie akzeptiert ihr Schicksal, da das Leben in Anbetracht seiner Endlichkeit keinen Sinn macht, sondern nur der Tod. Sie stirbt, ohne zu wissen, was Glück in ihrem Leben bedeutet, und Kreon wartet auf den Tod, ohne Glück erfahren zu haben.